Dartoids Welt Nr. 184 – Boracay

Dartoids Welt Nr. 184 – Boracay

Das Flugzeug steigt und fällt, es klappert und schüttelt sich,
während
es sich im Landeanflug auf Kalibo durch den Sturm kämpft. Voller Angst
klammere
ich mich an die Armlehnen meines Sitzes. Der Seetang Muffin und der Tomatensaft,
die mir der Steward serviert hatte, machen in meinem Magen einen Aufstand.
Ich schließe
die Augen. Irgendwie landen wir…

Ich habe 2 Tage gebraucht, um hierher zu kommen. In weiteren drei Stunden,
2 davon
im Bus und eine in einem selbstgebauten Banca Boot, werde ich auf der kleinen
Insel
Boracay ankommen. Das hölzerne Auslegerboot bremst rund 20 Yards vor
dem Ufer
ab. Ein drahtiger Bootsverleiher stemmt sich mein Gepäck auf die Schulter
während
ich zum Strand wate.

Die hantelförmige Insel, etwa 200 Meilen südlich von Manila,
ist nur vier
Meilen lang und an ihrer schmalsten Stelle nur eine halbe Meile breit.
Sie wird
in zahlreichen führenden Reiseführern, darunter Harper’s, BMW
Handbuch
tropischer Strände, der englischen TV Quick und dem australischen
Sun Herald,
als eine der schönsten tropischen Ferienregionen aufgeführt.
Aber ich
bin nicht hierher gekommen, um in der Sonne zu braten oder zwischen den
Riffen zu
schnorcheln. Ich bin hier, um Darts zu werfen. Ich bin ein Verrückter.

Der Ort, an dem man das tun kann, tatsächlich der einzige Ort auf
ganz Boracay,
wo man ein Board findet, heißt Pier One-Beachcomber. Er ist eines
von sechs
Pier One Restaurants und Bars auf den Philippinen. Ein Freund von mir,
Christopher
„Duds“ Cansana, ist Miteigentümer. Er ist ein hohes Tier bei irgendeiner
Computer
Firma, was natürlich erklärt, wie er es sich leisten kann sieben
Bars
zu besitzen. Er ist ein Dart Fanatiker, was erklärt, warum er Platz,
der Geld
bringen könnte, vergeudet, um in einigen von ihnen Dartboards aufzuhängen.
Duds ist auch ein Verrückter.

Es mag ein Klischee sein, aber Boracay ist eine paradiesische Insel. Das
Wasser
ist seicht, warm und hat eine kristallklar blau-grüne Farbe, die im
Sonnenuntergang
orange leuchtet. Der Korallensand ist puderig weiß, wie Puderzucker,
und man
muss nicht auf Zehenspitzen laufen, um sich nicht daran zu verbrennen,
da Puder
nicht heiß wird. Üppige Kokospalmen neigen sich zu den Wellen.
Ihre Wedel
rauschen in der sachten Brise, während sich kleine Wellen am Ufer
brechen.
Ich denke an „Survivor“, fühle mich aber noch mehr an eine Szene aus
„Jurassic
Park“ erinnert—nämlich an die Szene, in der das kleine Mädchen,
während
es im Sand spielt, von kindlicher Begeisterung überwältigt wird
(geschieht
dem kleinen , britischen Kind ganz recht!). So schön ist Boracay,
so entlegen
und so idyllisch, aber…

inmitten dieser exotischen Küstenlinie gibt es noch eine vollkommen
andere
Welt. Mehr als 350 Strandhotels, Restaurants und einheimische Imbiss-Buden,
Bars,
Diskos, Taucher-Läden, Tatoo-Studios und Andenken-Stände sorgen
von Sonnenuntergang
bis in die frühen Morgenstunden für die halbe Million einheimischer
und
internationaler Touristen, der es jedes Jahr irgendwie gelingt die Anreise
hierher
zu überleben. Nachts mischen sich das pulsierende Licht und die Musik
mit dem
Mondschein und den schwappenden Wellen, wenn die Touristenscharen über
den
schmalen Streifen zwischen Küste und Klubs schlendern. Das ergibt
eine seltsame,
aber verlockende Mischung, eine Art Kreuzung zwischen Makati´s Burgos
Street
in der Nacht und Cape Cod´s Princetown im Sommer.

Ich bezog eine rustikale, mit Stroh gedeckten Unterkunft, die sich „Seewind“
nannte.
Mein einziger Grund dafür war die Nähe zu Pier One. Die Bar ist
nur 10
Minuten durch den Sand-Schlurfen entfernt. Ich machte das drei Abende lang,
um mich
mit einem weiteren Freund, Roman „Mon“ Sabalboro, langjährigem Mitglied
der
philippinischen National-Mannschaft (und ehemaliger Berufstänzer)
und seiner
Freundin, Noel Li, gegenwärtig die Nummer eins der Damen in Hong Kong,
zu treffen.

Dud´s Partner Paul Sanchez und David Cervantes, der Geschäftsführer
begrüßten uns bei unserer Ankunft. Sie gaben sich große
Mühe
uns zu versichern, dass die Darts Anlage uns zufrieden stellen würde.
Als wir
eintraten, stand noch ein halbes Dutzend Angestellter auf Leitern, um letzte
Hand
an die Beleuchtung zu legen. Hoch oben aus der Decke ragten zwei Bambus
Masten.
Kabel wurden durch die Masten gezogen, um eine helle Lampe am Ende jedes
Masts mit
Strom zu versorgen. Die Lampen waren in einem perfekten 45° Winkel
ausgerichtet,
um genau die Doppel Zwanzig zu beleuchten. Dünne, verstellbare Schnüre
irgendeiner Art wurden an den Masten und dann an der Wand befestigt, so
dass der
Einfallswinkel des Lichts, wenn nötig, verändert werden konnte.

Wir bestellten etwas zu Essen —Milch-Fisch bedeckt mit Tomaten, Knoblauch
und
Zwiebeln, eines meiner Lieblings Essen — und die erste von vielen Runden
San Miguels,
und traten ans Oche.

Es reicht, wenn ich sage, dass es mir nicht gut erging. Ich kann die wirklich
wichtigen
Legs, die ich im Laufe der drei Nächte gewann, an den Fingern einer
Hand abzählen,
nämlich drei! Mike Lewis aus Philadelphia wird wissen warum, er hatte
mich
genau deshalb in einer anderen, weit entfernten Welt —- 7000 Meilen von
hier,
wo ich es niederschreibe, drei Wochen zuvor in den Pennsylvania Open niedergemacht.

Der Grund dafür ist, dass ich Mist werfe. Ich sollte besser über
Golf
schreiben, aber darin bin ich noch schlechter, und so überlasse ich
diese Art
von Erinnerungen John Lowe. Er wird dieses Jahr sechzig, was die Grenze
zum Altertum
ist, und schaut sich deshalb wohl nach einer anderen Verdienstmöglichkeit
um.

Das erste Spiel, dass ich gewann, spielte ich gegen die heiß-aussehende
und
genauso heiß werfende Li, mit einem 60er Finish, musste dafür
aber die
Neunzehn treffen, nachdem mein erster Dart sich in die Eins verirrt hatte.
Tops
zum Sieg. Dann verlor ich zwei Spiele nacheinander und kehrte zu meinem
Milch-Fisch
und den San Miguels zurück.

Als Nächstes: mein Freund, der tanzende Sabalboro. Er seifte mich
im ersten
Leg ein, machte Schluss, als ich noch 244 Punkte stehen hatte. Ich schlug
zurück.
Ich scorte hoch und zauberte ein 109er Finish aus dem Ärmel zum Ausgleich.
Aber traurigerweise, und genau wie ich befürchtet hatte, vollendete
Sabalboro
zwei Minuten später seinen Steptanz auf meinem Gesicht. Er drehte
eine Pirouette,
verbeugte sich höflich in seinem rosa Kleid und flatterte zur Herren-Toilette.

Später schlossen Li und ich uns zusammen um es mit Sabalboro im Cricket
aufzunehmen,
zwei zu eins, eigentlich gar nicht möglich zu verlieren. Sabalboro
schloss
die Zwanziger und schrieb sich 40 Punkte gut. Von dort, wo ich früher
am Abend
die 109 gefunden hatte, schloss ich die Zwanziger und die Neunzehner und
die Achtzehner.
Danach war es für Li und mich leicht, das erste Leg zu gewinnen. Aber
dann,
irgendwie, auf irgendeine Weise fand Sabalboro im zweiten Leg die Darts
uns zu überwinden,
uns zu demoralisieren, wahrscheinlich, weil Li und ich dafür stimmten,
das
Spiel für unentschieden zu erklären. Wir wollten uns die Demütigung
einer zweiten Niederlage ersparen. Li ist Chinesin, deshalb, denke ich,
verlor sie
ihr Gesicht. Ich bin kein Chinese, ich habe schon vor Jahren meinen ganzen
verdammten
Kopf verloren.

Wir beendeten die erste Nacht mit Pool und wurden enge Freunde von San
Miguel. Ich
nahm entlang dem Strand Kurs auf den „Seewind“, schlängelte diesmal
mehr als
das ich schlurfte, und kam erst um vier Uhr nachmittags wieder zu mir.

Für die nächsten beiden Nächte wurde Pier One meine Heimat
auf Boracay.
Ich lernte den einheimischen Spieler Glenn Mariano kennen, es gelang mir,
mich gegen
ihn zu behaupten. Ich lernte ein Spiel namens Sungka kennen, das von den
Inseln
stammt und bei dem man Dutzende kleiner Muscheln in kleine, taschenähnliche
Vertiefungen auf einem langen Holzbrett und wieder heraus verschiebt. Ich
versuchte
mich an einem Kartenspiel namens „Tongits“. Wahrscheinlich gibt es durchaus
eine
Möglichkeit, die beiden Spiele zu gewinnen. Aber alles was mir gelang,
war
ein verblüffter Gesichtausdruck und eine weitere Runde Getränke
zu kaufen.

Es gibt eine Menge Orte, die ich bereiste um Darts zu spielen und die ich
nicht
empfehlen kann. Zum Beispiel ist Knoxville in Tennessee (wo ich letzte
Woche einen
Tag lang nach einem Bristle Board gesucht habe) eine Stadt, die ich nie
wieder besuchen
würde und wenn es die letzte Stadt auf der Erde wäre. Ich fand
Dutzende
von Pubs, aber jeder einzelne beheimatete lediglich das elektronische Spiel,
das
für mich genauso unverständlich ist wie „Sungka“ und „Tongits“.

Aber Boracay ist anders. Es ist ein einzigartiges Paradies, idyllisch wie
ein Paradies
nur sein kann, und wenigstens dann, wenn man es von einem sich nähernden
Banca
Boot aus betrachtet, genauso unberührt, wie es dieser exotische Teil
der Welt
zu der Zeit war, zu der Ferdinand Magellan vor mehr als einem halben Jahrhundert
hier her segelte, um die Gewürzinseln für Spanien zu beanspruchen.

Traurig für Magellan, dass die Eingeborenen ihn umbrachten.

Dank der Gastfreundschaft von Duds Cansana, einem wahren Freund, habe ich
überlebt
und verbrachte eine unvergessliche Zeit an den Boards.

Vor Ort
Dartoid

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